Draußen beobachtet

Bäume als Wegmarke

Die Orientierung im Wald ist schwieriger geworden

Von Professor Dr. Wilfried Stichmann. Erschienen im Soester Anzeiger am 23.11.2019


MÖHNESEE – Selbst für alte, erfahrene „Waldläufer“ ist es inzwischen manchmal schwierig, im großen Waldgebiet zwischen Möhne und Ruhr die richtigen Wege zu finden. So sehr haben sich große Teile des Arnsberger Waldes nach großflächigen Kahlschlägen verändert. Bestimmte alte, auffällig gewachsene Bäume, die man mit einem konkreten Ort verband, sucht man vergeblich. Andere Waldbilder oder Kahlflächen sind an ihre Stelle getreten.
Jeder hat an seinen Wanderwegen bestimmte Bäume oder Baumgruppen, die ihm verraten, wie weit er schon gekommen oder noch vom Ziel entfernt ist. Besonders markante Wegmarken sind alte Eichen, sogenannte „Überhälter“, und Zwiesel-Fichten, deren Stamm sich in zwei mehr oder weniger gleichstarke Äste gabelt.
Die Eichen-Veterane stehen noch, wirken aber in von Fichten entblößter Umgebung ganz anders als zuvor. Manche sind in der Bevölkerung sogar dem Namen nach bekannt, müssen allerdings neu ins Bewusstsein gerückt werden. Überhälter sind einzeln stehende alte Bäume, die nach der Nutzung eines Waldbestandes zur Produktion wertvoller Starkholzstämme oder auch aus landschaftästhetischen Gründen stehen geblieben sind. Manche von ihnen wurden in ihrem Leben etliche Male fotografiert, zumal wenn mit ihnen in der Vergangenheit bekannte Persönlichkeiten oder Vorkommnisse in Verbindung zu bringen waren.
Ganz anders die alten, oft hundertjährigen Zwiesel unter den Fichten. Viele gibt es nicht mehr und nach den Katastrophen der letzten Jahre schon gar nicht. Die meisten Zwiesel entstanden am selben Tag vor 83 Jahren. Damals – am „Weißen Sonntag 1936“ brachen große Mengen Nassschnee im Arnsberger Wald aus Tausenden Fichten die Spitzen heraus. Der Schaden bedeutete für die Waldbesitzer damals eine große Katastrophe, wie man heute noch in Hirschberg in Torbalken nachlesen kann. Die allermeisten Fichten waren durch den Schneebruch so beschädigt, dass sie in den Folgejahren gefällt werden mussten. Einige aber blieben stehen und bildeten zwei Spitzentriebe.
Sie waren in monotonen Fichtenbeständen für manche Waldfreunde echte Wegmarken, die allerdings inzwischen von den Borkenkäfern dahingerafft wurden. Zwiesel sind auch später noch entstanden, unter anderem durch Wildverbiss schon in jungen Jahren und durch Beschädigung der Terminalknospe oder des Spitzenbetriebes durch Insekten. Auch durch Spätfrost ist schon manchmal Zwieselwuchs ausgelöst worden.
Das Verschwinden der Zwiesel von 1936 durch das Fichtensterben von 2018/19 ist nicht nur Verlust einiger Wegmarken in unseren Tagen, sondern auch Erinnerung an die letzte große Waldkatastrophe, die auch schon die Fichte betraf.