Draußen beobachtet

Biologie in der Drüggelter Kapelle

Die Natur hilft den Historikern auf die Sprünge

Von Professor Dr. Wilfried Stichmann. Erschienen im Soester Anzeiger am 11.01.2020


MÖHNESEE – Die Geschichte der Holz-Truhe, die von den Besuchern der Drüggelter Kapelle meist nur wenig beachtet wird, hat einen Besucher fasziniert. Sie gab den Anstoß dafür, sie als Beispiel für eine moderne Wissenschaftsdisziplin dienen zu lassen, die den Historikern einen naturwissenschaftlich fest fundierten Zugang zu dem geheimnisvollen Gotteshaus ermöglicht.
So steht nach mikroskopischer Untersuchung von Holzproben fest, dass die Eiche, aus deren Holz die Truhe angefertigt wurde, noch vor 850 Jahren grünte und lebte.
Die Möglichkeit, selbst bei jahrhundertealten Holzprodukten deren Entstehungszeit jahrgenau bestimmen zu können, verdanken wir den Jahrringen, die wohl die meisten Waldwanderer an einem Baumstamm oder -stumpf schon einmal auszuzählen versuchten. Jahrring ist aber nicht gleich Jahrring. Die unterschiedlichen Wachstumsbedingungen in den einzelnen Jahren haben unterschiedlich breite Jahrringe verursacht. Vor allem Extremjahre wie 2018 und 2019 finden in besonders schmalen, optimale Witterungsverhältnisse in ungewöhnlich breiten Jahrringen ihren Niederschlag. Auch in altem, sogar in fossilem Holz kann man auf dieser Basis die Jahrringe bestimmten Jahren zuordnen. Wenn mit etwas Glück, die Probe die „Waldkante“ aufweist, das heißt den Übergang vom letzten Jahrring zur Rinde, steht das Jahr fest, in dem der Baum gefällt wurde. Und da das Eichenholz in früheren Zeiten meistens „frisch“ verarbeitet wurde, sind recht genaue Aussagen über die Entstehungszeit des Untersuchungsobjektes möglich: im Falle der Holztruhe in Drüggelte in der Entstehungszeit der Kapelle zwischen 1167 und 1175.
Im Laufe der letzten Jahrzehnte sind Hunderte von Holzproben – vor allem von Eichen – untersucht und die Ergebnisse in Jahrringkurven dargestellt worden, die inzwischen durch Nutzung der „Überlappungsmethode“ die Altersbestimmung von Fachwerkbalken bis zu prähistorischen Pfahlbauten ermöglichen. Diese letztlich biologische Methode, inzwischen als Dendrochronologie oder Jahrringchronologie bekannt, wird heute schon nicht nur von Historikern, sondern auch in anderen Wissenschaftsdisziplinen als Hilfswissenschaft genutzt.
Den Bäumen als Lieferanten des Nutzholzes und den markanten Extremjahren sei es gedankt, letztlich der Tatsache, dass alljährlich das gelbwandige Frühholz mit großen Zellen in das dunklere Spätholz mit kleineren Zellen übergeht und so deutlich sichtbar den konzentrischen Jahrring bildet und dass vor allem die Wachstumsbedingungen für die Eichen sich auch in früheren Jahren veränderten. In Amerika, wo verschiedene Nadelbäume dendrochronologisch bearbeitet wurden, sind Borstenkiefer-Holzproben bis zu einer Zeit um 6000 vor Christi Geburt auf das Jahr genau datiert worden und die Grundlage für Wachstumskalender, auf die unter anderem auch die historische Klimaforschung zurückgreift.