Draußen beobachtet

Blütenpracht nach Sturmschäden

Tausende Fingerhüte schmücken jetzt die Freiflächen

Von Professor Dr. Wilfried Stichmann. Erschienen im Soester Anzeiger am 6.07.2019


MÖHNESEE – Aus den trostlosen Schadflächen, die der Katastrophensturm „Friederike“ im vorigen Jahr hinterließ, sind schon in diesem Jahr teilweise malerische Blumengärten geworden. Im Boden schlummernde Staudensamen warteten nur darauf, vom hellen Sonnenlicht geweckt zu werden. Schon im zweiten Jahr nach der Katastrophe schmücken sich viele Kahlflächen mit einer sehenswerten Flora, zu der die Massenbestände des Waldweidenröschens, des Fuchskreuzkrauts und des roten Fingerhuts gehören.
Zurzeit steht der Rote Fingerhut in voller Blüte. Das größte Massenvorkommen sieht man auf einer Kahlfläche von der Bundesstraße 229 zwischen Hevedamm und Breitenbruch aus. Aber auch an vielen anderen Orten auf im Vorjahr durch Windwurf oder nach Käferbefall baumlosen Waldparzellen sowie an Waldrändern und Säumen findet man die über 1,50 Meter hohen Blütenstände. Die kalkarmen, sauren Böden des Arnsberger Waldes sind für den Fingerhut wie geschaffen. In der Ebene ist die Art nur selten anzutreffen. Gleich nachdem den Boden das volle Licht erreichte, keimten die Samen des Roten Fingerhuts. Noch im selben Jahr bildete sich bodennah eine Blattrosette. Erst im zweiten Jahr schmücken sich die hohen Stängel mit den Trauben rötlicher Blüten, die sich auffallend nach einer Seite – und zwar zum Licht – ausrichten. Jede Einzelblüte erinnert in Form und Größe an einen Fingerhut, was ihnen nicht nur den deutschen Namen einbrachte. Auch die wissenschaftliche Bezeichnung „Digitalis“ geht auf das lateinische „digitale“ (der Fingerhut) zurück.
Die hell umrandeten Flecken auf der Blütenunterseite werden von den Wissenschaftlern als Staubbeutel-Attrappen gedeutet, die die Hummeln als einzige Gäste anlocken sollen. Die Fingerhutblüten sind längerlebig als manche Gartenblumen und deshalb auch ein beliebter Schmuck in naturnahen Gärten. Einziger, aber ernst zu nehmender Nachteil der Fingerhüte: Sie sind stark giftig. Wegen der Digitalis-Glykoside waren Bestandteile der Blätter nicht nur in der Vergangenheit, sondern auch in unseren Tagen bedeutsam für verschiedene Herz-Medikamente. Das Rot-, Sika- und Rehwild meidet die Giftpflanze. Für unsere sauerländische Landschaft aber ist der Rote Fingerhut eine prägende Charakterpflanze, über die wir uns – trotz ihrer Förderung durch die Waldkatastrophen – freuen dürfen.