Draußen beobachtet

Brennnesseln ungleichmäßig verbreitet

Die zwei Seiten unserer bekanntesten heimischen Wildpflanze

Von Professor Dr. Wilfried Stichmann. Erschienen im Soester Anzeiger am 20.07.2019


MÖHNESEE – Diese Pflanzenart erkennt jeder, sogar mit geschlossenen Augen. Sie ist in der Gemeinde Möhnesee wie überall ringsum sehr ungleichmäßig verbreitet. Während sie aus den Siedlungen, aus Gärten und Wegrändern weitgehend zurückgedrängt wurde, ist sie in der Agrarlandschaft so häufig und massenhaft vertreten, dass sie an Gräben und Feldrainen die übrigen Blütenpflanzen verdrängt.
Die Brennnessel profitiert vom übermäßigen Stickstoffeintrag durch die Landwirtschaft. Bekannt ist, dass ihre winzigen Brennhaare an der Haut von Mensch und Tier abbrechen und in die Stichwunde einen brennenden Saft injizieren, der unangenehme Quaddeln hervorruft. Diesen Effekt kann man vermeiden, wenn man Blätter und Stängel kräftig anfasst.
Die Pflanzen sind eingeschlechtig. Das heißt, sie tragen jeweils nur weibliche oder nur männliche Blüten. Diese sind zahlreich, aber winzig klein. Sie produzieren – wie für Windblütler typisch – enorm viel Pollen, die der Wind fortträgt. Brennnesseln sind mehrjährige Stauden, die sich außer durch Samen auch durch ihre unterirdischen Rhizome vermehren. Weil diese über einen halben Meter tief wurzeln, sind die Brennnesseln nur schwer zu beseitigen.
Kein Wunder, dass diese wehrhaften Pflanzen in der Kulturgeschichte schon früh Erwähnung fanden. Im Althochdeutschen hießen die Nesseln „nezzila“, bei den Römern „Urtica“ (nach urere = brennen). Den Menschen schmeckten die Kräutersuppe und der Brennnesselspinat, den Hühnern die klein geschnittenen Blätter und Stängel. Bis ins 18. Jahrhundert hinein stellten die 5 bis 7 cm langen Bastfasern – übrigens die längsten in der heimischen Pflanzenwelt – das Material für das „Nesseltuch“ genannte Gewebe. Und noch heute wird ungebleichtes Gewebe unter dem Namen „Nessel“ verkauft. Biogärtner bekämpfen – hochaktuell – Blattläuse mit einer sehr wirksamen stickstoffreichen, aber giftfreien Brennnesseljauche.
Wenn Tagpfauenaugen und Kleine Füchse, deren Raupen auf Brennnesseln leben, seit Jahren immer seltener werden, kann das eigentlich nicht am Mangel an Brennnesseln liegen, aber eher dran, dass die beliebten Falter in der Feldflur kaum noch Blütenpflanzen finden. Und in den Gärten fehlen den Raupen die Brennnesseln als Futterpflanzen.