Draußen beobachtet

Ein Paradies für Mönche

Von Professor Dr. Wilfried Stichmann. Erschienen im Soester Anzeiger am 20.04.2019


MÖHNESEE – Den ganzen Winter über haben sich die Vögel für die Mistelbeeren nicht interessiert, obwohl die 40 Mistelbüsche, die als Halbschmarotzer auf dem Zuckerahorn im Innenhof parasitieren, voller weißer Früchte überwinterten. Doch das änderte sich mit dem 13. April. Die ersten Mönchsgrasmücken waren wieder da und machten sich gleich über die Mistelbeeren her. Am 14. April waren es schon ein Dutzend dieser Feinschmecker, die sich mit den verlockend frischen Beeren befassten und sich gegenseitig vertrieben, wenn der eine dem anderen zu nahe kam.
Für jede gepflückte Beere brauchte die Mönchsgrasmücke – kurz Mönch genannt – eine ganze Weile. Galt es doch, das Fruchtfleisch vom Kern zu trennen. Das aber ist nicht so einfach, weil der Kern klebrig umhüllt ist. Wie Menschen Kirschkerne ausspucken, so einfach geht das bei den Misteln nicht. Schließlich muss der Mönch den Schnabel an dem Ast, auf dem er sitzt, wetzen, bis der Kern an der Rinde klebt. Der Same hat sein Ziel erreicht, und der Mönch hat ihm dazu verholfen. Dort kann er keimen und möglicherweise für einen weiteren Mistelbusch auf dem Zuckerahorn sorgen.
Die Mönchsgrasmücken, die offenbar hier die einzigen Spezialisten für Mistelbeeren sind, gehören zu den häufigsten Bewohnern unserer Gärten und haben in den letzten Jahren – im Gegensatz zu vielen anderen Vogelarten – sogar im Bestand zugenommen. Die Vögel, die etwa so groß wie eine Kohlmeise sind, tragen ein insgesamt schlichtes graubraunes Gefieder, dazu aber eine fast schwarze Kopfplatte, die vom Schnabel bis zum Nacken reicht. Ihr verdankt der Mönch seinen Namen und daran ist er auch ohne Fernglas leicht zu erkennen.
Mönchsgrasmücken leben monogam und haben im Laufe des Sommers meistens nur eine Brut. Die Nester bauen sie in Bodennähe, in der Regel höchstens einen Meter hoch. Sie begnügen sich mit vier bis fünf Eiern, die sie 10 bis 15 Tage lang bebrüten. In den Gärten gehören sie zu den unermüdlichsten Sängern. Ihr Repertoire besteht aus zwei unterschiedlichen Teilen, von denen der erste noch etwas gequält und wenig klangvoll ist, der zweite aber melodische Flötentöne umfasst.