Draußen beobachtet

Ein ungewöhnlicher Jahresverlauf

Bei der Herbstzeitlose ist alles anders
Von Professor Dr. Wilfried Stichmann. Erschienen im Soester Anzeiger am 20.09.2017


MÖHNESEE – Schon der Name verrät, dass die Herbstzeitlose eine ungewöhnliche Pflanze ist. Erst wenn fast alle heimischen Pflanzen ihre Blütezeit beendet haben, öffnet sie auf einigen naturnahen Rasen ihre hübschen Blüten. Früher wuchs sie im Möhnetal auch wild. Aber darauf legten die Menschen keinen Wert, ist die Herbstzeitlose doch eine der gefährlichsten Giftpflanzen, die schon Menschenleben gefordert hat. Das Weidevieh meidet sie, ausgenommen die Ziegen, über deren Milch sich sogar noch Menschen vergiften können. Besonders intensiv hat der Mensch die Herbstzeitlose ausgerottet, weil das Gift auch im Heu noch wirksam bleibt.
Doch wer deren Giftigkeit kennt, kann sich an deren Schönheit im Rasen getrost erfreuen, zumal ihr ungewöhnlicher Jahresgang ihr besondere Aufmerksamkeit garantiert. Wenn wir im September und Anfang Oktober ihre krokusähnlichen Blüten sehen, haben wir streng genommen nur einen Teil der Blüten vor Augen. Die wichtigsten Blütenteile, die Fruchtknoten, befinden sich wie die Knollen bis zu zehn Zentimeter tief unter der Erde. Der Blütenstaub, der durch Falter, Bienen und Hummeln übertragen wird, lässt sich viel Zeit. Erst im Winter kommt es in frostfreier Tiefe zur Befruchtung, und noch einmal mehrere Monate dauert es, bis die Samenkapseln aus dem Boden geschoben werden.

Quelle: Angelika von Tolkacz

Erst im Juni oder Juli des nächsten Jahres werden die reifen Samen aus den Kapseln entlassen und dem Wind anvertraut. Auch Samenverbreitung durch Ameisen oder an den Klauen des Weideviehs ist möglich. Während der Blütezeit sucht man vergeblich nach Laubblättern der Herbstzeitlose. Diese erscheinen erst im nächsten Jahr zusammen mit den Samenkapseln. Sie sind wie alle Teile der Pflanze stark giftig und lebensgefährlich.
Wie immer hat auch bei der Herbstzeitlose jedes Übel eine positive Seite. Der Inhaltsstoff Colchicin – nach dem Gattungsnamen „Colchicum“ nach der Landschaft Colchis am Schwarzen Meer – ist in der Pharmazie bedeutsam, aber noch wichtiger in der Pflanzenzüchtung. Er wirkt auf den Zellteilungsmechanismus und fördert die Entstehung von Individuen mit vermehrtem Chromosomensatz. Etliche Kulturpflanzensorten sind durch Nutzung des Colchicins zustande gekommen. Das ist die andere Seite dieser ungewöhnlichen Pflanzenart.