Draußen beobachtet

Fichte hat sehr wohl eine Zukunft

Vor 200 Jahren wurden die Bäume im Sauerland angepflanzt

Von Professor Dr. Wilfried Stichmann. Erschienen im Soester Anzeiger am 14.07.2019


MÖHNESEE – Vom „Hessenbaum“ sprachen die Waldbauern noch jahrelang, wenn sie die Fichte meinten. Grund dafür war, dass die Fichte ihre Karriere begann, als die Hessen zwischen 1802 und 1815 Landesherren im ehemals Kurkölnischen Herzogtum Westfalen waren. Zu dieser Zeit waren auf großen Flächen die Wälder durch Übernutzung verwüstet. Ödland, Heiden und Borstgrasrasen, die als Weideland genutzt wurden, waren an ihre Stelle getreten. Niederwald und Gebüsch herrschten auch im Arnsberger Wald, so dass ein Eichhörnchen aus dem Möhnetal bis Arnsberg zwar von Ast zu Ast springen konnte, auf derselben Strecke aber kein Stamm Bauholz zu finden war.
Um der Holznot zu begegnen und die versauerten Böden wieder für Buche und Eiche geeignet zu machen, holte man die nicht heimische Fichte aus den kühl-feuchten Hochlagen von Harz und Thüringer Wald und säte sie gegen den Widerstand der Landbevölkerung aus, die lieber ihre Viehweide beibehalten hätte. Durch Beschattung und Nadelstreu sollte die dichte Decke aus Heidelbeeren und Besenheide aufgelockert und verdrängt werden.
Doch die Erfolge bereits mit jungem Fichtenholz ließen aus der Übergangslösung eine Erfolgsgeschichte werden. Die Fichte trat einen problematischen Siegeszug an, der zu immer mehr Monokulturen führte, die mit Altersklassenwäldern und Kahlschlagwirtschaft dem Land ihr Gepräge gaben und zum Teil auch heute noch geben.
Durch die Markenteilung und mit der Ablösung der Holz- durch die Steinkohle wichen restliche Buchenwälder der weiteren Ausbreitung der Fichte, die schrittweise zur häufigsten Baumart in heimischen Wäldern wurde.
Während in den Staatsforsten die Fichtenfläche schon im ersten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts, als vielerorts bereits ein Drittel der Waldfläche mit Fichten bestanden war, ihren Höhepunkt überschritt, wuchs die Fichtenfläche weiter an. In manchen Revieren des Sauerlandes gab es deutlich mehr Fichten als alle anderen Baumarten zusammen.
Schon früh hatten Vertreter eines naturgemäßen Waldbaus vor der Gefahr der Verfichtung gewarnt. Sie argumentierten mit der Versauerung der Böden und der Fließgewässer, mit der Instabilität vor allem älterer Fichtenbestände und der Verdrängung der heimischen Tier- und Pflanzenwelt. Aber erst in den 1960ern endete die Zunahme der Fichtenfläche, die zu Lasten vor allem der Rotbuche erfolgte.
Als Ziel war die Reduzierung des Fichtenanbaus schon angesagt, als die Folgen des Klimawandels stärker in die Diskussion kamen. Aber erst die Sturm- und Dürrekatastrophen der jüngsten Vergangenheit führten jedermann vor Augen, dass die Ära der Fichten sich ihrem Ende nähert. Auf hektargroßen Flächen haben die Stürme die Fichten geworfen und gebrochen, andere so geschwächt, dass sie zu Opfern der Borkenkäfer wurden.
Die Landschaft im Arnsberger Wald ändert sich grundlegend. Die Kahlflächen schmücken schon der Rote Fingerhut und das Waldweidenröschen. Die Wiederaufforstung mit geeigneteren Baumarten hat begonnen. Doch zur Sorge, künftig in manchen Wäldern überhaupt keine Fichten mehr zu sehen, besteht kein Anlass. Manche Waldbesitzer werden auf den „Brotbaum“ Fichte nicht verzichten wollen.
Den Beitrag zum Fortbestand ihrer Art im Sauerland wird die Fichte selbst liefern, die trotz fremder Herkunft zur heimischen, sich natürlich vermehrenden Flora gehört. Alljährlich reifen im Spätherbst die ca. 15 cm langen Zapfen in großer Zahl. Jeder Zapfen entlässt 400 Samen, die als Schraubenflieger einige hundert Meter fortgetragen werden. Sie bleiben im Boden bis zu 6 Jahre keimfähig, keimen aber größtenteils nach kurzer Zeit und sorgen für die „Naturverjüngung“. Wenn sie heranwachsen, bleiben die jungen Fichten in den ersten 10 bis 20 Jahren von Stürmen und Borkenkäfern verschont.