Draußen beobachtet

Hunderte Kraniche übernachten im Hevetal

Naturschauspiel in dieser Woche hatte allerdings nur wenige
Zuschauer

Von Professor Dr. Wilfried Stichmann. Erschienen im Soester Anzeiger am 19.10.2019


MÖHNESEE – Viele Naturfreunde sahen am Dienstagnachmittag dieser Woche die großen Kranichscharen, die über allen Dörfern im Gemeindegebiet kreisten. Leider nur wenige wurden Augenzeugen des großartigsten Naturschauspiels, das sich am Dienstagabend abspielte. Wohl wegen der aufziehenden Wolken und des angekündigten Regens war nur eine Handvoll Spaziergänger zwischen Torhaus und Taucherbucht unterwegs. Dafür kam hier nach und nach ein Kranichzug nach dem anderen an. Die einzelnen Trupps vereinigten sich und begannen – laut rufend – über dem Hevetal zu kreisen. Teilschwärme spalteten sich ab und flogen ost-, andere westwärts. Sie alle aber kamen wieder zurück und kreisten in unterschiedlicher Höhe weiter.
Ganz offensichtlich konzentrierten sich die Vogelscharen auf das Naturschutzgebiet „Hevearm der Möhnetalsperre“. Zu zählen waren die Kraniche nicht, die scharenweise den Himmel belebten und die Luft mit ihren ohrenbetäubenden Rufen erfüllten. Schätzungsweise müssen es zwischen 800 und 1200 gewesen sein.
Bis gegen 17 Uhr kreisten die auffallenden Gäste, die zu den stattlichsten in der heimischen Tierwelt gehören. Ihre Flügelspannweite misst immerhin über zwei Meter. Der heranziehende Regen ließ sie sich schließlich für einen Landeplatz auf dem breiten freigefallenen Ufer entscheiden. Als die ersten Kraniche dort Fuß gefasst hatten, kamen immer mehr hinzu, bis alle den gemeinsamen Sammelplatz bevölkerten. Viele hatten von der weiten Reise aus der Norddeutschen Tiefebene – für uns Wanderer leicht nachvollziehbar – Durst bekommen und begannen an der Wasserlinie ausgiebig zu trinken.
Wohl noch durch die letzten Radfahrer auf dem westlichen Heverandweg gestört, flogen die gefiederten Gäste noch einmal auf, um nach kurzem Kreisen auf dem Ufer vor der Schlibbecke-Halbinsel wieder niederzugehen. Bald danach – schon gegen 17.30 Uhr – ließ das vorher laute Stimmengewirr allmählich nach. Nach Einbruch der Dunkelheit herrschte in der Kranichschar absolute Stille.
Zumindest die meisten der Kraniche haben die Nacht im Hevetal verbracht. Am Mittwochmorgen brachen gegen 8.30 Uhr mehrere Trupps auf. Die sanft abfallenden, steinigen Ufer dürften ihnen wohl kaum Nahrung geboten haben. In der 60-jährigen Geschichte der Vogelforschung am Möhnesee sind vergleichbar große Scharen Kraniche nie als Übernachtungsgäste registriert worden.