Draußen beobachtet

Immer mehr Gänse im Hevetal

Einführung fremder Arten muss kritisch geprüft werden

Von Professor Dr. Wilfried Stichmann. Erschienen im Soester Anzeiger am 29.08.2019


MÖHNESEE – Als man in den 1960er Jahren die ersten in Brutmaschinen geschlüpften kleinen Gänschen aus jagdlichem Interesse in die Freiheit entließ, wollte man die in Nordeutschland ursprünglich heimische Graugans an münsterländischen Gewässern wieder ansiedeln. Niemand ahnte, welche Veränderung der heimischen Tierwelt diese „Wiederansiedlung“ nach sich zog. Bis 1980 waren Gänse in den großen Scharen auf dem Möhnesee überwinternder Wasservögel nur selten einmal anzutreffen. Heute beherrschen sie schon im Sommer zu Hunderten die Szene.
In den nächsten Jahren kamen die Kanadagänse und seit der Jahrtausendwende immer mehr Nilgänse hinzu, die schon durch ihre Namen verraten, woher sie ursprünglich stammen. Die ersten Vertreter beider Arten entkamen aus Zoos und Parks, nachdem sie frei fliegen konnten, weil man ihnen die Flügel nicht mehr stutzen durfte. Alle drei Arten haben sich im ganzen Lande so stark vermehrt, dass sie heute vielerorts zum Problem geworden sind.
Die Gänse haben ihre gesetzlich geregelte Jagdzeit. Doch in den Griff bekommen die Jäger die immer noch zunehmenden Populationen nicht mehr. Dazu sind die Gänse, die inzwischen „Wildtier-Verhalten“ angenommen haben, viel zu klug. Während in den Naturschutzgebieten, wo mit Rücksicht auf die anderen, zum Teil seltenen Vogelarten nicht geschossen werden darf, die Gänseherden sich – zur Freude vieler Naturfreunde – vergleichsweise zutraulich verhalten, wahren sie auf den Feldern Distanz, so dass sie außer Schussweite bleiben.
Die Gänse brüten nur zum Teil auf dem Möhnesee, größtenteils aber im Umland. Wenn die Jungen groß genug sind, führen die Eltern sie ins Hevetal und zum Hevesee. Während sie zu anderen Zeiten oft in großen Verbänden zur Äsung auf die Felder der Börde zogen, müssen sie sich jetzt – nachdem die Felder abgeerntet sind – vielfach mit der spärlichen Vegetation begnügen, die auf den bei niedrigem Wasserstand freigefallenen Ufern aufkommt. Wohl deshalb und weil anderswo bereits viele Flachgewässer ausgetrocknet sind, halten sich im Hevetal besonders viele Grau-, Kanada- und Nilgänse auf.
Eine ähnliche Bestandsexplosion wie bei den Gänsen ist bei den Waschbären zu beobachten, die in den Dörfern am Möhnesee an den unmöglichsten Orten auftauchten und schon manchen Bewohner erschreckt haben. Auch die Waschbären sind in den 1930er Jahren „zur Bereicherung der Tierwelt“ – anfangs nur am Edersee – ausgesetzt worden. Dass die gebürtigen Nordamerikaner sich in Deutschland so ausbreiten und vermehren würden, dass die Jäger ihrer nicht mehr Herr werden, hatte man nicht geahnt. Und auch beim Sikawild, das aus Ostasien stammt, bereitet die Bestandsregulierung Schwierigkeiten.
Ihre Schäden durch Verbiss und Schälen der Bäume sind erheblich, doch mit scharfer Bejagung müsste der Bestand auf ein tragbares Niveau zu bringen sein. Ganz missen möchten sowohl Jäger als auch Wanderer das Sikawild nicht.
Im Gegensatz zu den „invasiven“ Arten sind die Sikas auf einen bestimmten Raum, den Arnsberger Wald, beschränkt und haben nach 120 Jahren Heimatrecht. Jäger und Wanderer, denen Sikawild noch am häufigsten von allen Wildarten begegnet, setzen sich für die Erhaltung dieses Fremdlings ein.
Die fünf hier ursprünglich nicht heimischen Wildarten sind Paradebeispiele dafür, dass die Frage nach den Folgen der Einführung fremder Arten kritisch geprüft werden muss, bevor das erste Tier ausgewildert wird. Wichtig ist zu klären, wie man die „Geister, die man rief“, auch wieder los wird.