Draußen beobachtet

Keiner war älter als 30

Auch der Niederwald hatte seine Vorzüge

Von Professor Dr. Wilfried Stichmann. Erschienen im Soester Anzeiger am 29.02.2020


MÖHNESEE – Auch im Sauerland gab es früher große Waldgebiete, in denen die Bäume nur maximal 20 bis 30 Jahre alt wurden. Schon in jungen Jahren, lange bevor sie geschlechtsreif wurden und Samen für die Naturverjüngung bilden konnten, wurden sie gefällt. Solche Wälder, die sich nicht durch Samen, sondern durch Stockausschläge verjüngten, werden Niederwälder genannt, von denen es 1883 im Bereich des heutigen Landes Nordrhein-Westfalen noch über 200 000 Hektar gab.
Die Nutzung der jungen Stämmchen hatte damals schon ihre Vorteile. Man brauchte sie ohnehin fast ausschließlich als Brennholz, vor allem bis zur Förderung der Steinkohle auch zur Produktion von Unmengen Holzkohle. Die dünneren Stämme waren leichter zu ernten und vor allem auch mit Pferdefuhrwerken aus entlegenen Waldgebieten zu transportieren. Im Gegensatz zu den über 100-jährigen Bäumen aus dem Hochwald brachte das Holz aus dem Niederwald dem Eigentümer noch innerhalb einer Generation finanziellen Erfolg.
Da im Niederwald aus den Stöcken geschlagener Stämmchen meistens mehrere Triebe heranwachsen, ist deren Holzmasse größer als bei den sogenannten „Kernwüchsen“, und das ohne jede besondere Pflege. Die mit der Niederwaldnutzung untrennbar verbundene Verarmung und Devastierung der Böden nahm man hin. In der Grafschaft Mark wurden sogar Hochwaldbestände in Niederwald umgewandelt, um möglichst schnell das damals noch begehrte Kohlholz verkaufen zu können.
Eine niederwaldartige Nutzung der Gehölze hat es wahrscheinlich schon lange vor Christi Geburt gegeben. 1467 begannen Landesherren damit, diese Form der Waldnutzung zu regulieren. Seit Mitte des 19. Jahrhunderts geht – von Ausnahmen abgesehen – der Anteil der Niederwälder an der gesamten Waldfläche zurück. Vielerorts hat man die Stockausschlagwälder „durchwachsen“, d. h. nur ein Stämmchen groß werden lassen. Dies sieht man dem Auserwählten oft bis ins hohe Alter an seinem krummen Fuß an, der auf die Konkurrenz mit den anderen, später gefällten Trieben des Stocks zurückgeht. Inzwischen sind fast alle Niederwälder in Hoch- oder Mittelwälder überführt worden.
Wegen ihrer geringeren Ausschlagfähigkeit wurden die Rotbuchen nach und nach aus den Niederwäldern verdrängt, auf Grauwacke und Sandstein durch Eichen und Birken, auf Kalk durch Eichen und Hainbuchen. Nadelbäume können nicht aus dem Stock austreiben und kamen deshalb zu keiner Zeit für die Niederwaldwirtschaft in Betracht. Dafür tragen Fichten auf großen Flächen die Nachfolge ehemaliger Niederwälder an.
Eine Sonderform des Ausschlagwaldes stellen die bekannten Hauberge im Siegerland dar. Einige von ihnen werden aus musealen Gründen weiter bewirtschaftet. Weil sich über die Jahrhunderte hinweg in den Niederwäldern eine artenreiche Tier- und Pflanzenwelt zusammengefunden hat, ist der Naturschutz an der Erhaltung von Resten der niederwaldartigen Wirtschaft interessiert, vor allem auch der wenigen Haselhühner wegen, die sich nur dort gehalten haben, wo sie diese historische Form der Waldnutzung noch vorfinden.