Draußen beobachtet

Kolkraben sind die größten Singvögel

Sie gelten als besonders intelligent

Von Professor Dr. Wilfried Stichmann. Erschienen im Soester Anzeiger am 22.01.2020


MÖHNESEE – Wenn bei der Drückjagd die ersten Schüsse fallen, sind die Kolkraben im Arnsberger Wald hellwach. Sie wissen, dass bei der Jagd Wild erbeutet und nach alter Tradition von den Schützen an Ort und Stelle aufgebrochen wird. Auffallend schnell haben die Raben den Aufbruch gefunden und reinen Tisch gemacht. Die meisten Kolkraben im Sauerland bekommt der Naturfreund aber am Müllkompostwerk der Hellefelder Höhe zu sehen. Allerdings erst, wenn das Personal um 16 Uhr Feierabend gemacht hat. Die Klugheit der großen Verwandten unserer Saat- und Rabenkrähen, die größer als die allseits bekannten Mäusebussarde sind, ist schon seit der Antike bekannt. Sie ist der Grund für die Rolle, die die Raben in den Sagen und Legenden vieler Völker weltweit spielen. Nicht umsonst lässt der Germanengott Odin sich von zwei Raben berichten, was draußen auf der Welt so alles passiert. Raben waren dafür auserkoren zu erkunden, wo nach der Sintflut das erste Land auftauchte.
Dass der Kolkrabe der größte Singvogel ist, aber haben die Zoologen erst viel später aufgrund gemeinsamer anatomischer Merkmale herausgefunden. Der Gesang kann dafür nicht das entscheidende Kriterium gewesen sein. Am häufigsten vernimmt man von den Raben quorrende Rufe wie „orr orr“, die weithin vernehmbar sind und auch die Klangfarbe im Namen „Kolk“rabe widerspiegeln.
Wie die kleinere Verwandte, die Rabenkrähe, die allgemein bekannt ist, seitdem sie neuerdings auch bis in die Ortschaften kommt, ist der Kolkrabe vom Kopf bis zum Schwanz durchgehend schwarz. Im Fluge wirkt er – auch schon wegen seiner Größe – eher wie ein Greifvogel. Sicherstes Erkennungsmerkmal ist der keilförmige Schwanz. Oft segeln die Kolkraben und zeigen allerlei Flugkünste. Im Gegensatz zu den Krähen sind die Kolkraben scheu und wachsam. Sie halten sich von den Menschen fern und hatten auch guten Grund dazu.
Fast überall auf der Erde hat man diese Vogelart früher verfolgt und mancherorts sogar ausgerottet. So auch in Westfalen, wo sie bis 1912 Brutvogel war. Erst in neuerer Zeit ist sie – unter dem Schutz der EU-Vogelschutzrichtlinie – in Siedlungsärmere Landschaften zurückgekehrt. Als „Hygienepolizisten“ haben die Kolkraben inzwischen einen besseren Ruf als ihre Vorfahren. Sie sorgen innerhalb kurzer Zeit für die Entfernung biologischer Abfälle, weshalb man Jägern getrost empfehlen kann, den Aufbruch von erlegtem Wild den Kolkraben und Füchsen im Walde zur Entsorgung zu überlassen.
Früher geglaubte Geschichten von Kolkraben, die ihre Jungen verhungern lassen und deshalb als „Rabeneltern“ verunglimpft wurden, und von gefährlichen Killern junger Haustiere auf der Weide werden heute nur noch belächelt. Der Kolkrabe ist heute nicht nur im Sauerland ein gern geduldeter Heimkehrer und ein Zeuge der Geschichte. Hier als „Unglücksvogel“ geschmäht und dort als „heilig“ verehrt, war er immer im Blickpunkt. Heute begrüßen viele Menschen seine Rückkehr, weil er zur Artenvielfalt beiträgt und als Aas- und Abfallfresser eine Lücke in der Nahrungskette schließt.