Draußen beobachtet

Mehr Fichtennachwuchs als willkommen

Die jungen Bäume haben keine gesicherte Zukunft

Von Professor Dr. Wilfried Stichmann. Erschienen im Soester Anzeiger am 2.11.2019


MÖHNESEE – Noch kurz vor ihrem Tod durch Millionen Borkenkäfer haben viele Fichten für reichlich Nachwuchs gesorgt. Aus ihren Zapfen fielen Samen in Unmengen, nicht nur zu Boden, sondern wurden auch vom Wind auf inzwischen freigeräumte Flächen verweht. Forstleute sprechen bei dieser Form der natürlichen Verjüngung vom „Anflug“, von dem sie eine Wiederbegrünung der Schadflächen erwarten. Leider sind nicht alle Laubbaumarten dazu in der Lage. Eichen und Buchen kennen keinen „Anflug“, weil Eicheln und Bucheckern nicht fliegen können, sondern senkrecht auf dem Boden niedergehen. Deshalb wird diese Form der Verjüngung „Aufschlag“ genannt. Eichhörnchen und Eichelhäher können Eicheln und Bucheckern wenigsten etwas weiter verbreiten, aber nicht so weit wie den Anflug.
Auf größeren Flächen werden sich infolgedessen vor allem Birken und Weiden, Fichten und Lärchen natürlich verjüngen. Sie bilden schon jetzt auf den nach Kyrill und dem Schadsturm Friederike entstandenen Kahlflächen erste Dickungen. Auf etwa einem Zehntel der Waldfläche, die im Arnsberger Wald jetzt kahl ist, wird man unter Umständen aus ökologischen Gründen dieser natürlichen Entwicklung freien Lauf lassen. Ansonsten wird man aus wirtschaftlichen Gründen wohl aktiv eine artenreiche, klimaresistente Waldentwicklung fördern.
Eine problematische Baumart wird auch in Zukunft die Fichte sein, die – durch vielerorts bereits heranwachsend – in der Jugend zunächst vor Sturm und Käferfraß geschützt ist, aber lange vor Eintritt in das Erntealter ebenfalls dem Sturm und dem Klimawandel zum Opfer fallen dürfte wie jetzt ihre älteren Artgenossinnen. Bis dahin schadet sie der übrigen Vegetation. Am deutlichsten sieht man das in den renaturierten Tälern von Heve und Schmalenau, wo die Fehlbestockung mit Fichten aufwendig durch Fällung der Altbäume beseitigt wurde. Durch Anflug haben sich nicht nur die aus ökologischer Sicht willkommenen Schwarzerlen, sondern auch die Fichten wieder eingestellt.
Hier wie auch auf anderen Kahlflächen sind Förster und Naturschützer über den Fichtenanflug wenig erfreut. Dass die Fichte in den Höhenlagen unter 600 Meter über dem Meeresspiegel angesichts der Stürme, der Dürre und der Käfer keine Baumart der Zukunft ist, hat man aus der gegenwärtigen Kalamität gelernt. Laubbäume, keine Monokulturen und möglichst naturnahe Wälder sollen demnächst das Landschaftsbild und den Lebensraum in unserer Heimatlandschaft prägen, aber auch den umweltfreundlichen Rohstoff Holz liefern. Voraussetzungen dafür sind allerdings deutlich verminderte und angepasste Wildbestände und ein schonender Umgang mit dem Waldboden, auch gegenwärtig bei der maschinellen Räumung der Schadflächen.