Draußen beobachtet

Wildverbiss

Manchmal werden junge Laubbäume Jahr für Jahr durch Wildverbiss kurz gehalten.
Von Professor Dr. Wilfried Stichmann. Erschienen im Soester Anzeiger am 10.01.2018


MÖHNESEE – Die Wanderer sprachen spontan von „Bonsai”, als sie die kleinen Rotbuchen betrachteten, die keinen halben Meter groß und von merkwürdig gerundeter Gestalt sind. Die Dicke der Stämmchen lässt sie darauf schließen, dass die Zwerge älter sind, als ihre Höhe zunächst vermuten lässt. In der Tat erinnert alles an die japanische Kunst, durch Beschneiden und Auskneifen des Austriebs ästhetisch interessante Zwergbäume zu schaffen, die auch nach Jahrzehnten auf die Fensterbank passen.

Doch war hier im Walde kein Bonsai-Liebhaber tätig, der sich an der urwüchsigen Gestalt seiner verkrüppelten Bäumchen erfreut. Hier waren Sika-, Reh- oder Rotwild am Werk, die durch Verbiss junger Blätter und frischer Triebe einen ähnlichen Effekt erzielten wie der Mensch.

Quelle: Angelika von Tolkacz

Manchmal werden junge Laubbäume Jahr für Jahr durch Wildverbiss kurz gehalten. Erst wenn es einem Trieb gelingt, einigermaßen ungeschoren in die Höhe zu wachsen, kann daraus noch ein stattlicher Baum werden. Die Förster sagen, er müsse erst „aus der Schere des Wildes” herauswachsen, was manchmal erst nach Jahren, oft aber auch nie geschieht.

An lichten Stellen im Arnsberger Wald sieht man oft mehrere solcher Rotbuchenzwerge, die nicht selten zur Freude von Waldbesitzern und Naturschützern aus Naturverjüngung hervorgegangen sind. Aber auch die spitzen Nadeln der Fichten halten das Wild nicht davon ab, den frischen Austrieb zu verbeißen. In äsungsarmen Fichtenmonokulturen ist das kaum verwunderlich. Junge Fichten wirken oft ausgesprochen skurril, wenn bis über einen Meter Höhe die ältesten Astquirle komplett fehlen und erst darüber das übliche Wachstum beginnt. Neben den Schäl- und den Fegeschäden ist der Verbiss eine weitere Form der Auswirkungen des Wildes auf den Wald, an denen der Fachmann Höhe und Angemessenheit des Wildbestandes erkennt.
Weil im Arnsberger Wald neben dem Rot- und dem Rehwild auch noch das Sikawild als Pflanzenfresser hinzukommt, ist es nicht verwunderlich, dass dem Wanderer und Naturfreund fast auf Schritt und Tritt Hinweise auf das Wild begegnen. Über die Tragbarkeit des Wildbestandes gibt es zwischen Jägern und Förstern schon seit Jahren lebhafte Diskussionen.