Draußen beobachtet

Zeisige stürmen die Futterhäuser

Bislang nur wenige Nester in hohen Fichten entdeckt

Von Professor Dr. Wilfried Stichmann. Erschienen im Soester Anzeiger am 1.04.2020


MÖHNESEE – Zwei Leserinnen haben – unabhängig voneinander – an ihren Vogelfutterhäuschen ähnliche Erlebnisse. Ein Schwarm auffallend kleiner Vögel fällt urplötzlich über den Futterplatz her. Die anwesenden Gäste – Buchfinken und Grünlinge – ergreifen die Flucht. Die Neuankömmlinge picken hastig die dargebotenen Samen. Um welche Vogelart es sich handelt, bleibt zunächst ungeklärt. Unter den gefiederten Gästen waren sie bislang noch nicht aufgefallen.
Doch ihr Schwarmverhalten, ihr quicklebendiges Wesen und ihr zumindest teilweise kontrastreiches gelbgrünes Gefieder mit schwarzen Streifen macht die Artbestimmung leicht: Es sind Erlenzeisige, die sich meistens nur hier und dort einmal einstellen, wo Vogelfreunde nicht nur Meisenknödel, sondern auch Körnerfutter anbieten. Häufiger sieht man und hört man sie, wenn sie in Trupps in den äußersten Spitzen von Birken und Erlen herumturnen und die Samen aus den Fruchtständen klauben.
Häufig begegnet man den Erlenzeisigen nicht. Aber wenn sie erscheinen dann kommen sie in Trupps, vor allem im Winterhalbjahr. Das legt den Verdacht nahe, dass es sich um Wintergäste aus dem Nordosten Europas handelt. Aber auch aus dem Sauerland wurden schon vereinzelte Zeisigbruten gemeldet, allerdings als ungewöhnliche Seltenheiten. Dafür gibt es gleich mehrere Gründe. Einerseits gibt es hierzulande nur wenige Brutpaare, die andererseits vorzugsweise – schwer sichtbar – in den höchsten Wipfeln der Fichten ihre Nester bauen. Deshalb ist über die Nester und das Brutverhalten der Erlenzeisige weniger bekannt als über andere Singvögel.
Nur wo Waldarbeiter zur Brutzeit vom Sturm umgeworfene Fichten aufarbeiten, stießen sie schon mal auf ein Zeisignest. Bei den großen toten Fichtenmonokulturen haben sie kaum noch Zeit, auf die blaumeisengroßen Winzlinge zu achten, sofern diese nicht ohnehin schon die Schadflächen verlassen haben. Zur Nahrungssuche kommen die Zeisige häufiger in die offene Landschaft, gern an die von Erlen gesäumten Bachufer und auch in Parks und in waldnahe Gärten mit passendem Baumbestand. Vielleicht fallen sie dann häufiger – verstärkt durch Zuwanderer aus dem Osten – auch zur Überraschung der Vogelfreunde an den Winterfütterungen auf.