Draußen beobachtet

Die nächste Waldkatastrophe

Eine Wiederaufforstung ist fast unmöglich

Von Professor Dr. Wilfried Stichmann. Erschienen im Soester Anzeiger am 2.10.2019


MÖHNESEE – Nach der Borkenkäfer-Massenvermehrung droht den heimischen Wäldern eine zweite Katastrophe. Die seit Jahren geforderte Verringerung des Sikawildes wird in den nächsten Jahren besonders brisant, weil bei der gegenwärtigen Wilddichte die Wiederaufforstung der viele Hektar großen Schadflächen von vornherein zum Scheitern verurteilt ist. Viele Privatwald-Besitzer, die zum Teil ihren gesamten Fichtenbestand verloren haben, werden ohnehin nur schwer zu motivieren sein, noch einmal neu zu beginnen, wenn die Wahrscheinlichkeit besteht, dass das Wild das Pflanzgut abäst, d.h. „frisst“.
Schon als die Wälder noch grün waren, wurde in großen Teilen des Arnsberger Waldes nahezu die gesamt Naturverjüngung verbissen. Zu Bonsaibäumchen und Krüppel verwandelter Baumnachwuchs ist auch den Wanderern und Naturfreunden aufgefallen. Doch angesichts der Jahrhundertaufgabe, so große Waldflächen wiederaufforsten zu müssen wie noch nie zuvor in den letzten 200 Jahren, werden die – vor allem auch in der Gemeinde Möhnesee anzutreffenden– Wildbestände zu einem Problem, an dem die Gesellschaft nicht vorübergehen kann.
In den letzten Tagen haben etliche Natur- und Tierfreunde in Völlinghausen auf der Waldwiese gegenüber dem Wildpark „begeistert“ die großen Rudel Sikawild beobachtet und allein hier bis zu 180 Sikas gezählt. „Malerisch“ und „Wie in der Serengeti“ hießen die Kommentare. Manchen war einfach nicht bewusst, dass das Heer der Pflanzenfresser die nächste Wald-Katastrophe nach den Borkenkäfern heraufbeschwört, zumal auf den nächsten, nur vier Kilometer entfernten Freiflächen abends dieselbe Menge Sikawild äst. Und in den noch lebenden Laubwäldern sehen Wanderer und am Straßenrand auch die Autofahrer die Sikawildrudel. Deren Gesamtzahl wird im Arnsberger Wald auf mehrere tausend Sikas geschätzt.
Das Sikalwild ist gegen Ende des 19. Jahrhunderts vom Baron von Donner in das Wildgatter am Jagdschloss Wilhelmsruh geholt worden und nach Schäden am Zaun durch die Schneebruchkatastrophe 1936 erstmalig in die freie Wildbahn gelangt. Das Sikawild hat sich dort gut akklimatisiert und nach und nach stark ausgebreitet. Pläne der vorigen Landesregierung, die aus Ostasien stammenden „Fremdlinge“ zum Totalabschuss freizugeben, haben außer den Jägern auch die Naturschützer abgelehnt. In dem großen Waldgebiet kann man durchaus der zutraulichen Wildart einen Lebensraum gönnen.
Doch die Jäger hätten nach Meinung von Förstern, Waldbesitzern und Naturschützern von Anfang an ihre Pflicht tun und das extreme Anwachsen der Sikawildbestände auf ökologisch tragbare Dichten begrenzen müssen. Heute heißt es: statt 1000 genügen ein paar Hundert zwischen Möhne und Lattenberg. Die riesigen Flächen, die neu aufzuforsten sind, kann man beim besten Willen nicht mit Zäunen schützen. Auch würden es die Steuerzahler nicht verstehen, wenn die dringend benötigten Hilfsgelder für Wildschutzmaßnahmen vergeudet würden. Bei so großflächigen Gattern bliebe für das Wild nur wenig Raum, es würde hungern oder das Ökosystem Wald in den Restflächen total verwüsten.
Was jetzt die Borkenkäfer sind, sind in den nächsten Jahren die Sikas: eine katastrophale Belastung für unsere Heimatlandschaft, es sei denn, die Jagdberechtigten beginnen unverzüglich mit der Reduzierung des Wildbestandes auf ein sachlich begründetes Maß.