Draußen beobachtet

Ein immergrünes Missverständnis

Ein Adjektiv und der Name einer Pflanzenart
Von Professor Dr. Wilfried Stichmann. Erschienen im Soester Anzeiger am 27.01.2018


MÖHNESEE – Auch als „immergrün“ bezeichnete Gewächse verlieren ihre Blätter und Nadeln, allerdings nicht wie unsere Laubbäume alle gleichzeitig im Herbst, sondern nach und nach über das Jahr verteilt. Die Folge ist, dass sie zu allen Jahreszeiten grün sind und zu Recht als immer grün beschrieben werden. Die Hoffnung mancher Gartenbesitzer, dass mit der Entscheidung zugunsten immergrüner Nadelbäume das lästige Laubfegen auf den Bürgersteigen der Vergangenheit angehört, erfüllt sich somit nicht.
Immergrüne Arten, die es unter Bäumen und Sträuchern und krautigen Gewächsen gibt, sind bei näherer Betrachtung zahlreicher, als man zunächst denkt. Sie trennen sich von einem Teil ihrer Blätter oder Nadeln nach und nach zu verschiedenen Zeiten. Alle Blätter und Nadeln die sich an einem Trieb entfalten, sterben ab und gelangen früher oder später wieder zum Boden zurück. Die Lebensdauer dieser Pflanzenorgane kann sehr unterschiedlich sein.

In der Gesamtheit wirken diese Pflanzen immergrün. Winterliche Gärten werden durch immergrüne Arten belebt und geschmückt. Sie ziehen auch manche Tierarten an. Unter den Vögeln denke man etwa an Goldhähnchen, Hauben- und Tannenmeisen. Als „Immergrüne“ bekannt sind die meisten Nadelbäume, aber auch Bodendecker wie Pachysandra und Efeu gehören dazu. In den Staudenbeeten geben die Bergenien mit überwinternden Blättern dem Boden Schutz und dem Garten insgesamt ganzjährig ein freundliches Gepräge.

Quelle: Angelika von Tolkacz

Neben dem Adjektiv „immergrün“ kennen Botaniker und Gartenfreunde auch das Immergrün als eine Pflanzenart der überwiegend in den Tropen heimischen Familie der Hundsgiftgewächse. Das Kleine Immergrün (Vinca minor) und seine Verwandte (Vinca major) unterscheiden sich durch unterschiedlich große Blüten und Blätter. Im Möhnetal blühen sie schon in manchen Gärten. Vinca minor kommt – wohl aus Gärten verwildert – vereinzelt auch in Wäldern auf der Haar vor. Interessant ist, dass bereits Plinius das Immergrün als Arzneipflanze unter dem Namen „Vinca“ kannte. Ihre blauen Blüten vor dem Hintergrund ihrer immergrünen Blatter gefielen den Menschen so gut, dass sie der Art auch dann noch in den Gärten Platz gewährten, als man schon vor ihrem tödlichen Gift warnte.