Draußen beobachtet

Ein treu sorgender Verwandter

Amsel füttert junge Hausrotschwänzchen

Von Professor Dr. Wilfried Stichmann. Erschienen im Soester Anzeiger am 29.05.2019


MÖHNESEE – Ulrich Elkemann ist ein begeisterter Vogelfreund. Er freut sich an der artenreichen Vogelwelt rund um sein Haus.
Durch eine Fütterung nach eigenen, attraktiven Rezepten hat er viele gefiederte Freunde. So auch gleich zwei Pärchen, die auf einem Vorsprung über der Haustür – nur 1,50 Meter voneinander entfernt – meinen die passenden Neststandorte gefunden zu haben: rechts die Hausrotschwänzchen, links ein Amselpaar.
Während die Rotschwänze erfolgreich ihr Nestchen fertigstellen und bereits Junge haben, gelingt den Amseln der Nestbau nicht. Sie schleppen unentwegt Nistmaterial heran, das immer wieder herunterfällt. Der Vorsprung ist für das größere Amselnest einfach zu schmal. Der Vogelfreund hat geduldig den „Bauschutt“ auf der Türstufe zusammengefegt und schon einen halben Eimer weggebracht.
Da macht er eine ungewöhnliche Beobachtung. Das Amselmännchen sammelt hastig eine große Portion Mehlwürmer auf, die Ulrich Elkemann als besondere Delikatesse eigentlich für die inzwischen geschlüpfte Kinderschar der Rotschwänzchen gedacht hatte. Diese betteln laut vernehmbar mit weit geöffneten Schnäbeln – und werden alsbald von dem Amselmännchen gefüttert.
Amsel und Rotschwänzchen-Eltern füttern gemeinsam und tagelang um die Wette.
Die deutlich größere Amsel bringt die größeren Portionen, die Jungen betteln und sperren bei beiden unterschiedlichen Ernährern. Und die Vogelfreunde staunen. Wieder eine Beobachtung mit Seltenheitswert!
Für den Verhaltenskundler ist der Vorgang zwar auch ungewöhnlich, aber als fehlgeleitetes instinktives Verhalten erklärbar. Auf beiden Seiten gibt es hohe spezifische Energie: bei der Amsel die Bereitschaft (das Bedürfnis) zu füttern, bei den jungen Hausrotschwänzchen das altersgemäße Sperren allem gegenüber, was sich nähert und das Nest erzittern lässt. Junge Amseln hätten – wäre die Brut erfolgreich gewesen – in ähnlicher Weise die Schnäbel aufgerissen.
Die beiden Vogelarten sind Singvögel und somit im weiteren Sinne miteinander verwandt. Ornithologen sprechen auch von Sperlingsvögeln, die das Sperren der Jungen als gemeinsames Merkmal haben. Die jungen Hausrotschwänzchen sind inzwischen wohlbehalten ausgeflogen.