Draußen beobachtet

Gehölze leisten Erstaunliches

Im Niederwald wurden die Bäume immer wieder „auf den Stock“ gesetzt

Von Professor Dr. Wilfried Stichmann. Erschienen im Soester Anzeiger am 15.02.2020


MÖHNESEE – Zurzeit sind wieder die Mitarbeiter der Straßen- und Tiefbauämter unterwegs, um die Straßenränder zu pflegen. Alle paar Jahre werden im Straßenbegleitgrün Gehölze „auf den Stock gesetzt“, das heißt, die Triebe werden abgehackt oder dicht über dem Boden abgesägt. Diese Maßnahme, die nur im Winterhalbjahr durchgeführt werden darf, dient der Verjüngung der Gehölze. Schon im nächsten Jahr schlagen sie wieder aus und bilden kleine Adventivsprosse.
Während vereinzelt Triebe, die zu kleinen Bäumen heranwachsen sollen, unangetastet bleiben, werden die dazwischen liegenden Flächen abgeräumt. Dadurch verlieren die zuvor dort lebenden Tiere und Pflanzen teilweise ihren Lebensraum. Deshalb werden die Gehölze an einem Straßenzug nicht insgesamt, sondern immer nur abschnittsweise auf den Stock gesetzt. Lebewesen wird zumindest eine Ausweichmöglichkeit geboten.
Die Fähigkeit, aus dem Stock auszuschlagen, haben fast alle Laubgehölze. Die Austriebe entwickeln sich anfangs auffallend schnell und haben meistens größere Blätter als die Kernwüchse. Die Austriebe verdichten sich, ohne in den Straßenbereich hineinzuwachsen. Auch in Gärten und Parks werden einige Sträucher auf den Stock gesetzt, manche um deren jugendlichen Wuchs zu erhalten. In den heimischen Wäldern hat jahrhundertelang diese Praxis die Waldnutzung beherrscht. Sie war Grundlage der historischen Niederwaldwirtschaft, bei der es vorrangig um Brennholz und Viehfutter ging.
Nur einzelne Bäume ließ man alt und stark werden. Wenn man sie schließlich erntete, trieben auch sie – meistens mit mehreren Trieben – wieder aus. Das Ausschlagvermögen ist bei den einzelnen Baumarten nicht gleich gut; bei den Eichen ist es kräftiger als bei den Rotbuchen. Dieser Umstand trug dazu bei, dass sich vielerorts die Eichen zu Lasten der Buchen ausbreiten konnten. Bei Fichte, Kiefer und Lärche gibt es keinen Stockausschlag.
Besonders starkes Ausschlagvermögen beobachtet man beim Haselstrauch, der schon seit Januar vor allem in Eichen-Hainbuchenwäldern, an Waldrändern, in Gebüschen und – auch für den Autofahrer erlebbar – im Straßenbegleitgrün blüht.
Erst im Alter von zehn Jahren wird die Hasel „mannbar“, wie man die Geschlechtsreife im noch historisch geprägten Sprachgut nennt. Daher kommen an den Straßenrändern, wo die Gehölze auf den Stock gesetzt werden, trotz vieler Haseltriebe nur wenige zur Blüte. Doch als Züchtigungsinstrumente und als Wünschelruten taten in früheren Zeiten auch dünnere Ruten schon ihren Dienst.