Draußen beobachtet

Linden lieben die Wärme

Später wurden sie von den Buchen verdrängt

Von Professor Dr. Wilfried Stichmann. Erschienen im Soester Anzeiger am 21.03.2020


MÖHNESEE – Als die Menschen als Ackerbauern in der Jungsteinzeit auch in Mitteleuropa sesshaft wurden, herrschte eine Wärmephase. Die Wälder setzten sich aus Eichen, Hainbuchen, Ulmen und Eschen, Haselsträuchern und – weit verbreitet – aus Linden zusammen. Erst später, als das Klima wieder kühler wurde, folgten die Rotbuchen nach, deren Konkurrenz die wärmeliebenden Linden vielerorts offenbar nicht gewachsen waren. Auf den nährstoffreichen Lössböden machte obendrein der Mensch als Ackerbauer den Linden den Lebensraum streitig.
So kommt es, dass wir heute nicht an Linden denken, wenn von Waldbäumen die Rede ist. Doch als Einzelbäume an historischen Orten sind sie in ganz Westfalen zahlreich verstreut. Als Markierung besonderer Orte findet man sie am Haarstrang und in der Börde, in den Dörfern an Kirchen und auf Friedhöfen, etwa an beliebten Treffpunkten wie dem Brunnen oder dem Ort, um den sich Sagen und Geschichten ranken. Am Möhnesee denkt man gleich an die Schäferlinde, den Tollpost und an die Altareiche, die in Wirklichkeit auch eine Linde war.
Wie in der nacheiszeitlichen Wärmezeit könnten Linden in wärmeliebenden Laubmischwäldern zur Wiederbegrünung der durch Sturm, Dürre und Käferbefall vernichteten Fichtenforsten beitragen. Solche Wälder würden Wanderer und Naturfreunde erfreuen, Nutzholz liefern und der Tier- und Pflanzenwelt einen strukturreichen Lebensraum bieten. Vor allem aber könnten sie als Kohlenstoffsenke und Kühlung in Zeiten des Klimawandels wirken.
Wenn im Juni/Juli die Linden blühen, nimmt man den Duft weithin wahr. In manchen Familien hat sich die Tradition gehalten, Lindenblüten zu sammeln und zu trocknen. Der Lindenblütentee hat sich nicht nur bei Erkältungskrankheiten bewährt. Das Holz der Linden ist im Kern und im Splint gleich hell und besonders weich, so dass es sich für Drechsler- und Bildhauerarbeiten vorzüglich anbietet. Lindenbast wird heute vor allem noch für Seile im Gartenbau und für Bastelarbeit verwandt. Ärger bereiten zwar nicht die Linden, aber die auf deren Blätter saugenden und Zuckersaft absondernden Blattläuse, wenn die Autobesitzer nicht wissen, dass der Lack am Auto mit Wasser leicht wieder gereinigt werden kann.
Von den 30 Arten der Gattung Tilia (Linde) findet man in Westfalen vor allem die Sommer- und die Winterlinde, die sich in der Blattgröße unterscheiden. Die Sommerlinde hat die deutlich größeren Blätter. Beide Arten bevorzugen als Standorte gute kalk- und nährstoffreiche Böden, die sie mit ihrem Herzwurzelsystem tief durchwurzeln.
Frei stehende Linden werden oft nur 20 bis 30 Meter hoch. Auch mit einigen hundert Jahren sind sie bereits ziemlich eindrucksvolle, alte Bäume. Nur wenige sind tausendjährig, wie der Lokalpatriotismus hier und dort vorgibt.