Draußen beobachtet

Vogelfang als Volkssport

20 Pfennige für einen erbeuteten Krammetsvogel
Erschienen im Soester Anzeiger am 9.12.2016


MÖHNESEE – Das verdirbt die Urlaubsstimmung am Mittelmeer. „Da fahren wir nicht wieder hin, wo überall an den Stränden in großen Netzen die Vögel gefangen und auf den Märkten verkauft werden. Wir hegen und pflegen die Vögel, dort bringt man sie zu Hunderten um. Der Anblick der toten Vögel ist kaum zu ertragen.“

Die Stimmung wird auch nicht besser, wenn man bedenkt, dass unsere Vorfahren vor 150 Jahren im Sauerland auch noch in Mengen Drosseln erbeuteten, allerdings nicht in Netzen, sondern in selbst gebastelten kleinen Fanggeräten aus Weidenzweigen. In den sogenannten Drohnen erdrosselten sich die Vögel beim Wiederauffliegen. Dabei handelte es sich um Schwarz- und Singdrosseln, vor allem aber um Wacholder- und Weindrosseln, die allesamt „Krammetsvögel“ genannt wurden. Die Vogelbeeren, die als Lockfrüchte in den Fanggeräten hingen, waren schon im August auf Vorrat eingesammelt und möglichst frisch gehalten worden.

Täglich wurden neue Köder ausgebracht und die toten Drosseln eingesammelt. Das war ausschließlich Sache der Männer. Neben dem Essen sprang oft auch ein kleiner Verdienst dabei heraus. Ein Krammetsvogel wurde in der Mitte des 19. Jahrhunderts mit 20 Pfennigen bezahlt. Doch der Vogelfang war für die Menschen auch Abwechslung und Lebensqualität. Bedenken wie bei unseren Urlaubern waren offenbar unbekannt. Im Regierungsbezirk Arnsberg scheint der Vogelfang Volkssport gewesen zu sein. Viele Gemeinden teilten ihre Flächen in Fanggebiete auf, die einzeln vergeben wurden, natürlich viel kleiner als die Jagdreviere. Vogelfänger und Jäger kamen sich nicht ins Gehege. Jäger fingen keine Vögel.

Quelle: fotocommunity.de

Quelle: fotocommunity.de

In jeder Gemeinde registrierte man mehrere tausend gefangene Vögel, die von den Vogelfängern in der Gesamtheit der 30 bis 50 Hektar großen Fanggebiete erbeutet wurden. Bei der Mehrzahl der Krammetsvögel handelte es sich um Wacholder- und Weindrosseln, die zu Beginn des Winters aus den Weiten Nordeuropas zu uns kamen und heißhungrig die Vogelbeeren verzehrten. Erst in den letzten 75 Jahren sind die Wacholderdrosseln in Westfalen als Brutvögel heimisch geworden. Amseln und Singdrosseln wurden seltener erbeutet; sie wurden seit dem 19. Jahrhundert vermehrt Nachbarn und Gartenvögel.

Erst mit dem Reichsjagdgesetz von 1934 endete der Vogelfang in unseren Fluren. Das Gesetz zum Schutz der Vögel von 1888 hatte den Drosseln noch keinen Schutz geboten. Heute beklagen Tier- und Naturfreunde den weiteren Rückgang der meisten Vogelarten, obwohl sie bei uns alle streng geschützt sind. Angesichts der Verluste, die die Zugvögel immer noch im Süden erleiden, muss dem Vogelfang auch am Mittelmeer ein Ende gesetzt werden, ehe es zu spät ist.